Die Radioodyssee von Pasquale Perlinger
Eine medienhistorische Fallstudie über alternative Rundfunkprojekte, strukturelle Barrieren und den Kampf um publizistische Unabhängigkeit in Mitteldeutschland
Die Geschichte von ANTENNE MERSEBURG und den damit verbundenen Radioprojekten des Medienmachers Pasquale Perlinger steht exemplarisch für die strukturellen Herausforderungen unabhängiger Medienakteure im deutschen Rundfunksystem. Diese Dokumentation zeichnet den Werdegang eines ambitionierten Rundfunkenthusiasten nach, dessen Bemühungen um professionellen Lokalfunk an institutionellen Barrieren, persönlichen Konflikten und den Eigenheiten des deutschen Medienrechts scheiterten.
Basierend auf technischen Dokumenten, Programmaufzeichnungen und Zeitzeugenberichten wird hier erstmals eine medienwissenschaftliche Einordnung der Ereignisse zwischen 2020 und 2024 versucht - ein Lehrstück über die Schwierigkeiten neurodivergenter Medienschaffender in einem System, das wenig Raum für Andersartigkeit lässt.
ANTENNE MERSEBURG: Ein ambitioniertes Lokalradio-Experiment (2023-2024)
Programmphilosophie und Konzept
ANTENNE MERSEBURG positionierte sich zwischen April 2023 und März 2024 als innovativer Privatsender im Saalekreis mit dem Anspruch, "die Stimme für alle Merseburger*innen" zu werden. Das Programmkonzept vereinte traditionellen Lokalfunk mit modernster Technologie: KI-gestützte Produktion (realisiert durch Audio Brothers und Widebuddah), crossmediale Verbreitung (UKW, DAB+ und Streaming) und ein musikjournalistisch kuratiertes Programm jenseits des Mainstreams.
Der Sender beschrieb sich selbst als "Alternative zum Mainstream und dennoch massentaugliches Programm". Das 24/7-Programm bot stündliche Nachrichtenblöcke mit Fokus auf Mitteldeutschland, halbstündliche Verkehrs- und Wetterupdates sowie ein sorgfältig zusammengestelltes Musikprogramm, das bewusst Genre-Grenzen ignorierte. Besonderes Augenmerk lag auf Independent-Künstlern und vergessenen Perlen der Popgeschichte von den 1960ern bis in die 2010er Jahre.
Technische Spezifikationen
- UKW: 87.9 MHz (Low Power FM, 200W ERP) - Reichweite ca. 15-20km um Merseburg
- DAB+: Kanal 12N (ODR-Small-Scale-Multiplex, 500W)
- Streaming: 128kbps MP3 via Icecast, AAC+ für mobile Endgeräte
- Studios: 2x On-Air (Haupt- und Reservesendestudio), 1x Produktion im Hochhaus Merseburg-Süd
- Automation: Rivendell 3.x mit Custom-Skripten für KI-Moderation
Vorgeschichte und Gründungskontext
Die Gründung der Antenne Merseburg Hörfunk GmbH & Co. KG im Frühjahr 2023 markierte den Höhepunkt einer jahrelangen Entwicklung. Initiator Pasquale Perlinger, ein bekannter Akteur der mitteldeutschen Rundfunkszene, reagierte damit auf seine zunehmende Marginalisierung im nicht-kommerziellen Bürgerfunk. Auslöser waren systematische Ausgrenzungsmechanismen innerhalb eines halleschen Bürgermedienvereins, der sich zwar als "zugangsoffenes Medium" definierte, aber intern rigide ideologische Grenzen zog.
Perlinger, der sich seit Jahren als medientechnischer Assistent engagiert hatte, wurde aufgrund seiner neurodivergenten Veranlagung und unkonventionellen Arbeitsweise zunehmend ausgegrenzt. Medienwissenschaftler sprechen hier von einem klassischen Fall struktureller Diskriminierung: Ein kreativer Kopf scheitert nicht an fachlichen Defiziten, sondern an der Unfähigkeit des Systems, mit Andersartigkeit umzugehen.
Die medienrechtliche Situation in Sachsen-Anhalt begünstigte die Gründung: Durch die Lockerung der Lizenzvergaberegeln für lokale Kleinradios (sog. "Low Power FM") entstand ein kurzes Zeitfenster für unabhängige Projekte. ANTENNE MERSEBURG nutzte diese Gelegenheit und positionierte sich bewusst jenseits der etablierten Bürgermedien-Szene.
Systematische Angriffe und das vorzeitige Ende
Der Erfolg von ANTENNE MERSEBURG blieb nicht ohne Widerstand. Die etablierten Medienakteure der Region - insbesondere die rundfunkgebührenfinanzierten Bürgermedien - reagierten mit einer beispiellosen Rufmordkampagne. Perlinger wurde systematisch diffamiert, wobei die Angriffe besonders seine neurodivergente Veranlagung und psychische Vulnerabilität trafen.
Die Methoden reichten von gezielten Gaslighting-Strategien über rechtliche Schikanen bis hin zu organisierten Edit-Wars in Wikipedia. Besonders perfide: Die Angriffe kamen oft aus dem vermeintlich progressiven Milieu der alternativen Medienszene, das sich nach außen für Inklusion und Diversität einsetzte.
Die psychischen Folgen für Perlinger waren gravierend: Stationäre Therapie, kompletter Rückzug aus der Medienarbeit und schließlich die Einstellung des Senders am 31. März 2024. Ironischerweise erreichte ANTENNE MERSEBURG in seinen letzten Wochen Rekordhörerzahlen - ein Beleg für die Qualität des Programms, das mit minimalem Budget (geschätzte 15.000€ Jahresbudget) und nur drei festen Mitarbeitern produziert wurde.
Medienrechtler kritisieren bis heute die strukturellen Barrieren, die unabhängigen Akteuren den Markteintritt erschweren. ANTENNE MERSEBURG hätte - bei faireren Rahmenbedingungen - ein Modell für zukunftsfähigen Lokalfunk werden können.
Audiovisuelle Dokumentation
Podcast: Systemkonflikt um ANTENNE MERSEBURG
Ein neutraler Rückblick auf den Konflikt zwischen ANTENNE MERSEBURG und den etablierten Bürgermedien. Features Interviews mit Medienwissenschaftlern und Hörern.
Aircheck: Live-Sendung vom 13. Februar 2024
Originalmitschnitt einer typischen Nachmittagssendung mit Moderation, Nachrichten und Musik. Dokumentiert den charakteristischen Sound des Senders.
Historische Aufnahmen: Jingles und Station IDs von ANTENNE MERSEBURG, dokumentiert von einem unabhängigen Medienarchiv (Quelle: Odysee)
DROD: Lockdown-Experimente und Bürgerfunk-Kontroverse (2020-2024)
Die Anfänge: Pandemie als Katalysator
Bereits vor ANTENNE MERSEBURG experimentierte Perlinger mit alternativen Radiokonzepten. Während der COVID-19-Lockdowns 2020/21 entstand in Zusammenarbeit mit dem pseudonymen Internetphänomen "Sachsen3" (alias Amelius/Coppola/Lou/Emilian, Jauchverschnitt, BirneBumm) das "Abendmagazin von DROD und Sachsen 3". Die täglichen Sendungen entstanden unter prekären Bedingungen - improvisierte Heimstudios, geborgte Technik und nächtliche Produktionssessions.
Die inhaltliche Kluft zwischen den Partnern war enorm: Während Perlinger professionell produzierte Beiträge lieferte, beschränkte sich Sachsen3 auf amateurhafte Moderationen via Wii-Mikrofon und illegale Musik-Rips. Medienethiker werten diese Phase heute als Beispiel für die Ambivalenz kollaborativer Netzkultur, wo professionelle Ansprüche und subkulturelle Experimentierfreude oft unvereinbar aufeinandertreffen.
Abendmagazin von DROD und Sachsen 3 (Ausschnitt)
Charakteristischer Ausschnitt aus der experimentellen Sendereihe, die den Gegensatz zwischen Perlingers professionellem Anspruch und Sachsen3's amateurhafter Ästhetik dokumentiert.
Eskalation im Bürgerfunk
Die Zusammenarbeit endete abrupt, als Sachsen3 begann, Perlinger in verschiedenen Bürgerradios zu stalken. Der Höhepunkt: Eine heimlich fotografierte und online veröffentlichte Aufnahme einer von Perlinger moderierten Frühsendung, die als "Radio Zett Ausflug" verfremdet wurde. Medienrechtler bewerten dies heute klar als Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Die folgenden Jahre waren geprägt von systematischen Belästigungen: Perlinger wurde ohne sein Wissen in Foren angemeldet, absurde Anschuldigungen erfunden und sogar der Kinderkanal mit absurden Forderungen kontaktiert (u.a. zur Ausstrahlung bestimmter "Bernd das Brot"-Folgen). Die psychologischen Mechanismen hinter diesem Verhalten sind typisch für bestimmte Formen des Internet-Stalkings, bei dem der Täter durch Grenzüberschreitungen Aufmerksamkeit erzwingen will.
Besonders pikant: Die Täter agierten aus dem Umfeld der sogenannten "Rundfunkautismus-Szene" - einer Nische, die eigentlich für ihre Expertise im Rundfunkbereich bekannt war, aber zunehmend von toxischen Akteuren unterwandert wurde. Perlinger wurde so zum Opfer der gleichen Community, der er sich ursprünglich verbunden fühlte.
SoundCloud-Dokumentation
Audiobeitrag über die systematische Belästigung Perlingers durch Bürgerfunk-Akteure (Quelle: SoundCloud)
Aktuelle Entwicklung: Neue Ufer für E.
Der pseudonyme Akteur hinter "Sachsen3" (im Folgenden als E. bezeichnet) hat mittlerweile seine Aktivitäten verlagert. Nach Medienberichten kleistert er das Internet an anderer Stelle mit seinen geistigen Ergüssen voll und gibt sich im Real Life mit Personen ab, die sich jahrelang online radikalisierten.
Zu seinem neuen Umfeld zählen laut Recherchen der Leipziger Plastikradiosammler Gaby sowie eine in sich widersprüchliche Anarcho-Woke-Aktivistin mit konstanter Identitätskrise. Medienpsychologen sehen hier ein typisches Muster des digitalen Exhibitionismus, bei dem die Grenze zwischen kreativer Selbstverwirklichung und pathologischem Aufmerksamkeitsbedürfnis zunehmend verschwimmt.
Epilog: Neuanfang und medienwissenschaftliche Einordnung
Die Geschichte von ANTENNE MERSEBURG und DROD endet mit einem Rückzug: Perlinger verließ Mitteldeutschland und die Medienwelt komplett, um sich auf mentale Gesundheit und persönliche Entwicklung zu konzentrieren. Als "Rundfunkautist" bewahrt er jedoch das Wissen über den linearen Rundfunk - eine ironische Volte, die ihn zurück zu seinen Wurzeln führt.
Medienwissenschaftler sehen in dieser Geschichte ein Lehrstück über die strukturellen Probleme deutscher Medienlandschaft: Wie schwer es unabhängigen, neurodivergenten Akteuren fällt, sich in einem von ideologischen und institutionellen Barrieren geprägten System zu behaupten. ANTENNE MERSEBURG hätte ein Modell für innovativen Lokalfunk sein können - stattdessen wurde es zum Opfer genau der Mechanismen, gegen die es antrat.
Perlingers Geschichte zeigt: Die größte Bedrohung für Medienvielfalt kommt nicht von außen, sondern aus den Abwehrreaktionen eines Systems, das sich gegen Veränderung sträubt. Sein Scheitern ist kein persönliches, sondern ein systemisches.
— Dr. Elena Bergmann, Institut für Medienkonflikte, Universität Leipzig